Anlässlich der Vorstellung der polizeilichen Kriminalstatistik 2020 äußert sich Innenminister Boris Pistorius auf der Webseite seines Ministeriums zuversichtlich: „Auch unter Berücksichtigung des Corona-Effekts belegen die Zahlen, dass wir in sicheren Zeiten leben.“

Dieses Fazit trifft leider nicht auf alle Menschen unserer Gesellschaft zu, denn für Frauen sind die Zeiten noch unsicherer und gefährlicher geworden, wie ebenfalls aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2020 hervorgeht: Im Pandemie-Jahr 2020 stieg die Zahl von Fällen Häuslicher Gewalt um rund 7 Prozent! Sie entspricht damit einem Trend, der bereits seit 10 Jahren anhand der polizeilich registrierten Anzeigen in Niedersachsen deutlich messbar ist. Die zu Beginn der Pandemie gestellte Prognose der Landesarbeitsgemeinschaft kommunale Frauen- und Gleichstellungsbüros Niedersachsen (LAG) sowie weiterer Expert*innen des Innenministeriums, dass Häusliche Gewalt durch die Pandemie zunehmen werde, ist damit nachweislich belegt. Für Frauen sind Pandemie-Zeiten also deutlich unsicherere Zeiten. Ihr Leben und ihre körperliche Unversehrtheit sind mehr denn je gefährdet!

Für die lag ist die Steigerungsrate um 7 Prozent ein Beleg dafür, dass es noch umfassenden Nachholbedarf in der Verbesserung des Gewaltschutzes für Frauen in Niedersachsen gibt. Deutschland hat 2028 die Istanbul-Konvention – das Übereinkommen des Europarates zu Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – ratifiziert. Wesentliche Punkte dieses Übereinkommens sind die Anerkennung von Gewalt gegen Frauen als eine Form von Menschenrechtsverletzung und der Diskriminierung, die Einführung neuer Straftatbestände sowie die verbindliche Festlegung von Maßnahmen zur Umsetzung dieser Ziele. Zudem müssen alle zuständigen öffentlichen Behörden und Hilfseinrichtungen eingebunden werden, um effektiv gegen Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt vorzugehen.

Die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik 2020 dokumentieren, dass auch in Niedersachsen noch geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung jeglicher Form der geschlechtsspezifischen Gewalt und der häuslichen Gewalt auszubauen sind. Aus dem stetigen Anstieg der Fälle häuslicher Gewalt müssen sich aus Sicht der lag klare Konsequenzen ergeben. Angelika Kruse vom Vorstand der lag: „Ein wichtiger erster Schritt wäre, Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen personell und finanziell besser auszustatten. Die Arbeit der Schutz- und Beratungseinrichtungen für gewaltbetroffene Frauen darf darüber hinaus nicht länger als freiwillige kommunale Leistung definiert werden. Die Finanzierung ist dringend zu einer staatlichen Pflichtaufgabe auszubauen.“

Weitere Schritte wären, Koordinierungsstellen auch auf kommunaler Ebene einzurichten, um Gewaltschutz und Gewaltprävention, Vernetzung und Öffentlichkeitsarbeit voran zu bringen. Gewalt, insbesondere von Männern gegenüber Frauen muss gesellschaftlich noch breiter diskutiert werden, so der Innenminister auf der Webseite seines Ministeriums. Dieser Aussage stimmt die lag in vollem Umfang zu. Aber es braucht auch Personal um eine solche breit angelegte, gesellschaftlich längst überfällige Debatte anzustoßen. Denn letztendlich wird es dabei um sehr viel mehr als um häusliche Gewalt und Gewaltprävention gehen. In der gesellschaftlichen Debatte muss deutlich werden, dass alle Formen geschlechts-spezifischer Gewalt ein nicht länger hinnehmbarer Skandal sind und dass jegliche Form der Gewalt gegen Frauen – angefangen beim Sexismus bis hin zu der besorgniserregend hohen Zahl von Femiziden – eine Menschenrechtsverletzung und Diskriminierung darstellt!